Teilen statt Haben

Widerstrebt das unserer Natur, oder ist es doch ein verheißungsvoller Weg?

Menschen leihen und teilen Laubstaubsauger oder Fahrradanhänger, mieten oder borgen sich tageweise ein Auto, bewirtschaften Gemeinschaftsfeldstreifen, nutzen Mitfahrgelegenheiten und schlafen im Urlaub in fremden Wohnungen. Was zu Hause ausgemustert wird, landet nicht mehr auf dem Sperrmüll, sondern im Secondhand-Markt oder leider auf den giftigen Kleidermüllbergen an den schönen Stränden Ghanas, wo die Menschen nicht mehr weiterwissen.  Medien wie Musik oder Zeitschriften werden nicht mehr physisch gekauft, sondern gestreamt und online gelesen. Immer mehr junge Menschen räumen noch schnell den Kühlschrank, indem sie beim Foodsharing ihre Lebensmittel inserieren und finden hungrige Esser in der Nachbarschaft.

Dennoch greifen diese Entwicklungen nicht wirklich. Denn die Couchsurfer, Car-Sharer und Tauschbörsengänger sind noch immer eine gesellschaftliche Randerscheinung. Wir konsumieren mehr und schneller und die Halbwertszeit von Dingen hat in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark abgenommen. Repariert, gestopft und geflickt wird kaum, viel zu günstig ist die neue Jeans im Handel. Die Mode verspricht einerseits Individualität, will dem Individuum zu einer einzigartigen Identität verhelfen. Andererseits entstammen die Dinge aber der Massenproduktion, quasi Individualität für alle. Das menschliche Bedürfnis nach dem Außeralltäglichen wird mit gekauften Dingen gestillt. Es lässt sich in Bildern auf Instagram oder Facebook so wunderbar zur Schau stellen. Niemals zuvor haben sich Menschen derart öffentlich inszeniert.

Zum reinen Überleben hat der Mensch all seine Besitztümer nicht nötig. Aber auch, wenn Medien digitalisiert konsumiert werden, wird das Horten noch leichter gemacht. Die Speicher werden erst dann geleert, wenn's überquillt.

Den Wert von Gegenständen und Dingen kann man oft erst dann bemessen, wenn diese unwiederbringlich verloren sind. Ob nach Naturkatastrophen oder Kriegen – Menschen trauern um ihr Haus, ein geliebtes Fotoalbum oder einen Verlobungsring fast ebenso stark, wie um einen nahestehenden Menschen.

Die Dinge, die die Menschen besitzen, zeigen auch Status an. Vor allem mit Dingen, die in einer Kultur als sehr wertvoll angesehen werden. Dinge zeigen die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu an. So haben Dinge oft die Funktion, eine Zugehörigkeit zu symbolisieren oder Abgrenzung zu markieren: Umweltschützer und Veganer lassen sich durch ihr Konsumverhalten ausmachen, die Spuren, die sie im Netz hinterlassen, sprechen Bände.

Welcher Schicht man angehört, lässt sich leicht anhand von Kleidung, Musik- und Kunstgeschmack, Wohnungseinrichtung und Tischsitten erschließen. Dazu kommt aber mittlerweile auch die Identität im Internet, die wir uns mittels Selbstdarstellung in den sozialen Netzwerken, quasi nach unseren Vorstellungen formen können. Unternehmen freuen sich über die Selbstdarstellung und das transparente Mediennutzungsverhalten und schalten personalisierte Werbung. Wer sich auf Instagram als Frischluftfanatiker und Outdoorfreak inszeniert, erhält garantiert die entsprechende Werbung von Outdoor-Ausrüstern. Wer die Schwangerschaft des ersten Kindes medial zelebriert, nimmt auch Anzeigen von Babyausstattern in Kauf.

Schon die Menschen in der Steinzeit besaßen nicht nur, was dringend zum Überleben notwendig war. Im Gegenteil, davon zeugen archäologische Funde und Grabbeigaben: Trotz des Kampfes ums tägliche Überleben schienen sie sich auch schon über allerhand Schmuck zu definieren. Halsketten, Schmuck, achtsam verzierte Speere – all das sagt etwas über seinen Besitzer und seinen gesellschaftlichen Status aus. Menschen verstehen die Dinge, die zu ihnen gehören, als Teil ihrer Identität. In allen Kulturen wird die soziale Rolle, die soziale Position der Menschen auch durch die Dinge, die man hat, angezeigt. Was dem Stammeshäuptling seine geschmückte Pfeilspitze ist, das ist dem Manager heute sein schnittiger Wagen oder das Diensthandy.

Und wie ist das mit dem Einkommen? Armut macht erst einmal nicht glücklich. Die internationale Glücksforschung zeigt, dass Besitz und Einkommen bis zu einer bestimmten Grenze wichtig ist und ausschlaggebend für Zufriedenheit und Glücksempfinden der Menschen. Bis zu der magischen Grenze von 5.000 Euro monatlich steigt das subjektive Glücksempfinden mit jedem zusätzlich verdienten Euro. Grundsätzlich gibt es in der menschlichen Existenz kein Sein ohne Haben, das heißt nicht unbedingt, dass man Dinge besitzen muss. Der Mensch benötigt die Dinge, um überleben zu können. Das heißt aber nicht, dass wir so viele Dinge brauchen, wie wir heute meinen zu brauchen. Da ist vieles auch überflüssig und behindert auch die eigenen Lebensstile, die eigentliche Entwicklung.

Und da wir ja Marketing in einem MBA-Programm lehren: Was bedeutet die Verstrickung von Haben und Sein nun für Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle, ihre Kommunikationspolitik?

Ganz einfach: Der Besitz beginnt mittlerweile zu erdrücken, das Ordnung Halten und Instandhalten wird immer mehr zur Last. Produkte und Dienstleistungen, die das Leben drastisch vereinfachen, lösen das Kundenproblem und könnten leichter Wachstum erfahren. Die Zukunftsbranchen vereinen identitätsstiftende Angebote mit ordnungshelfendem Charakter – mal ganz abgesehen von grünen Werten oder exogen induzierten Veränderungsbedürfnissen wie Umweltschutzanliegen oder massive Geldentwertung im Zuge der Pandemie.